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Der Respekt ist tot???

Off topic
Ein schlechter Scherz? Oder traurig, aber wahr? Vor ein paar Tagen fand ich auf meiner Lieblingsseite für Nachrichten aus Frankreich einen Artikel, in dem genau das für 2023 vorhergesagt wird. Es ist ein Nachruf auf den Respekt. Ich als leidenschaftlicher Übersetzer habe den nachdenklich machenden Artikel für Euch ins Deutsche übertragen. Viel Spaß beim Lesen - lasst Euch inspirieren! Auf ein respektvolles, friedliches 2023;)

Quelle: https://www.20minutes.fr/by-the-web/4016416-20221229-vont-quitter-2023-mort-respect

Deutsche Übersetzung

Sie werden uns 2023 verlassen... der Respekt ist tot

Eins ist sicher – 2023 wird der Respekt tot sein. Wenn er es nicht schon ist – 20 Minutes

NACHRUF (4/5) Achtung, Spoiler: Der Respekt wird in den kommenden Monaten sterben. „20 Minutes“ hält seine Trauerrede.

  • 20 Minutes nimmt 2023 ein wenig vorweg und blickt für die Nekrologien des neuen Jahres in die Kristalllkugel.
  • Entschuldigen Sie den Spoiler, doch die ganze Woche lang verraten wir Ihnen, wer dieses Jahr versterben wird.
  • Heute: der Nachruf auf den Respekt. Möge er in Frieden ruhen, der kleine Engel, der zu früh von uns ging.

Sie können das als krankhaft oder Unglück bringend betrachten, doch das ist die traurige Wahrheit: Die Redaktionen bereiten gewöhnlich Nachrufe auf Personen vor, die uns in den kommenden Monaten verlassen könnten. Wir von 20 Minutes schrecken für mehr Transparenz vor nichts zurück und wollen ihnen einige präsentieren, die wir für 2023 vorbereitet haben – heute den Nachruf auf den Respekt.

R-E-S-P-E-C-T, so sang Aretha Franklin. Ein Begriff, der selten werden wird, sogar unauffindbar, wie Toilettenpapier oder Mehl mitten im Lockdown. Beratungsstellen, Influencer-Agenturen, führende Mitarbeiter von sozialen Netzwerken und der Linie 8 der Pariser Metro riechen es förmlich: Der Respekt verlässt uns gerade.

Schon seit mehreren Jahren lag das in der Luft. Bereits im Larousse wird das Wort „Respekt“ so beschrieben: „Gefühl der Achtung einer Person, das dazu führt, sie besonders rücksichtsvoll zu behandeln“. Das setzt zwei untrennbare Elemente voraus: Gefühle und Achtung, zwei Dinge, die ebenfalls seit einigen Jahren vom Aussterben bedroht sind. Doch wie ist es zu erklären, dass es keinen Respekt mehr gibt, und dass 2023 im Zeichen des Untergangs guter Gefühle steht? Eine Analyse.

Polarisierung, ich schreibe deinen Namen

Für niemanden ist das ein Geheimnis: 2022 war vom Aufkauf von Twitter durch Elon Musik geprägt. Folglich explodierten rassistische und diskriminierende Kommentare, und das soziale Netzwerk ähnelt eher einem Boxring als einem Ort des Gedankenaustauschs. Grund genug zur Angst, denn schon seit einigen Jahren warnen uns Sozialpsychologen: Soziale Medien machen uns engstirniger und fördern Polarisierung. Denn Algorithmen schieben die am häufigsten kommentierten, geteilten und diskutierten Beiträge nach oben, also meist die, an denen sich negative Meinungen und Beleidigungen entladen.

Das zeigt sich nicht nur im Internet, auch wenn die Algorithmen dazu beitragen: Es ist die Zeit der Konflikte, der kurzen Sätze, der extremen Standpunkte, in Kommentaren unter unseren Artikeln wie auch in Fernsehstudios. Weit weg von Sätzen, die von der ehemaligen öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt Frankreichs ORTF geglättet wurden, stehen die Zeichen auf Gewalt und Erniedrigung. Auszüge zirkulieren in den sozialen Medien, versetzen sie in Aufruhr, sorgen dort für Stress und Kettenreaktionen. Kurz: Es ist schwierig, soziale Netzwerke in Betrieb zu nehmen, ohne ihr Gewaltpotenzial festzustellen und den gegenseitigen Respekt etwas mehr zu begraben.

Man sagt weder „Hallo“ noch „Danke“ noch „Viel Glück“

Ohne in die <em>Boomer</em>-Rhetorik des „Früher war alles besser“ zu verfallen, hat uns das Eindringen der Digitalisierung in unsere Privatsphäre ein „Danke“ abgerungen. Kein Tag vergeht ohne eine wahre Flut an E-Mails, Nachrichten, Spam, verrückter russischer Bots, negativer Schlagzeilen. Eine Welle an Informationen, die es nicht spannend macht, die vom Aufstehen an provoziert. Mit kleinen Dopamin-Shots machte uns das Internet abhängig – oder ersetzte unsere Kuscheltiere aus der Kindheit. Während es immer mehr Digital Detox-Kuren gibt und wir uns über ein paar Teenager aufregen, die auf TikTok tanzen, steigen (vor allem) bei den Erwachsenen die Bildschirmzeiten und verschwindet die Höflichkeit.

Vom Tod des Respekts profitieren natürlich die Werbefachleute, die wissen, wie sie unsere Millionen Online-Daten zu ihrem Vorteil verwerten. Gezieltes Marketing, personalisierte Werbung und aggressive Strategien: Ob bei der Lieblings-Influencerin oder bei unseren Google-Suchen, den ganzen Tag lang gibt es etwas zu kaufen, während unser Leben überwacht wird. Werbung umzingelt uns und herrscht über das Netz: Auf jeden noch so unprofitablen Trend wird aufgesprungen, um ihn zu monetarisieren. Am Ende gewinnt der Konsumerismus – und das war nicht erst 2023 so.

Von Diskriminierung bis Fake News: das Ende des gegenseitigen (und eigenen) Respekts

Zwar kann der Eindruck entstehen, dass wir vorankommen, dass wir in einer Gesellschaft leben, die viel weniger rassistisch/sexistisch/LGBT-feindlich/ableistisch als die unserer Eltern und Großeltern ist, aber der Tod des Respekts kann uns zweifeln lassen. 2021 registrierte die Polizei 3 790 Straftaten „wegen sexueller Orientierung oder geschlechtlicher Identität“, also 22 % mehr als 2020. Vor ein paar Tagen wurde mitten in Paris ein rassistisches Attentat verübt. Im Fernsehen werden ohne Weiteres sexistische, frauenfeindliche und transphobe Aussagen getroffen. Also kann man 2023 als Todesjahr des Respekts gegenüber Anderen auffassen – im Sinne des Fremden, der Alterität, einer anderen Person, die anders ist.

Ohne die typischen Worte der Miss France zu benutzen: Wo ist der Respekt hin? Ob Diskriminierung, Falschinformationen, Fotomontagen oder Beleidigungen, Gewalt findet auch (und vor allem) offline statt. Ein Trend, der im beginnenden Jahr weitergehen wird, wo es ständig eine Gegensatz zwischen einem mutmaßlich „mangelnden Respekt“ gegenüber Älteren und allen progressiven Bewegungen gibt. Nicht zu vergessen, dass der fehlende Respekt gegenüber Anderen vor allem ein fehlender Respekt gegenüber uns selbst bedeutet, unserer Komplexität als menschliches Wesen. Und ja, das scheint banal, aber jeder Mensch verdient Respekt, unabhängig von sexueller Orientierung, geschlechtlicher Identität, Herkunft und sozialem Status.

Der Respekt ist tot, es lebe der Respekt?

Der Tod des Respekts hat eine nicht vernachlässigbare Folge, schon seit der ersten Lockdowns: die Verschlechterung unserer mentalen Gesundheit. Die Zahl der Patienten mit Angststörungen und Depressionen explodiert, Stress ist omnipräsent, Frankreich gehört zu den größten Verbrauchern von Antidepressiva, jeder steht unter Strom wie an Heiligabend an der Supermarktkasse. Spannung unter den Generationen, überall Geschrei, und auch wenn man sich einer landesweiten Gruppentherapie unterordnet, wird es nicht so schnell besser.

Wenn der Respekt 2023 gestorben ist, was bleibt uns dann noch? Gutmütigkeit, die von der Persönlichkeitsentwicklung kompromittierte Eigenschaft, die sich in der Berufswelt durchsetzt? Resilienz, also die Fähigkeit, Traumata zu überwinden, ohne zu hinterfragen, was die Traumata ausgelöst haben könnte? Toleranz, ein dehnbares Allerweltswort, das oft für alles steht, außer Akzeptanz und Respekt? Während der Respekt zunehmend verwelkt und seinen schönen Tod stirbt, müssen wir neu definieren, was wir von anderen und uns selbst erwarten. Und all das, ohne uns gegenseitig zu töten.